Wessen Testergebnisse veranlassten Dr. Szondi zu erklären, dass „dieser Mann mörderische Tendenzen hat?“
09.12.2018
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Der „Szondi-Test“ ist zweifellos eines der seltsamsten Objekte, die in unseren Sammlungen in der Nationalbibliothek von Israel zu finden sind.
Was ist so seltsam an dem von dem jüdisch-ungarischen Psychologen Leopold Szondi entwickelten Test? Und wessen Testergebnisse veranlassten Dr. Szondi zu der Erklärung, dass „es glasklar ist, dass dieser Mann mörderische Tendenzen hat?“
Im Januar 1961 wurde Dr. Shlomo Kulchar, der Leiter der psychiatrischen Abteilung des Tel Hashomer Krankenhauses, zu einem dringenden Treffen mit Gideon Hausner, dem Chefankläger des Eichman-Prozesses, gerufen. Hausner stellte Dr. Kulchar vor die heikle Aufgabe, eine psychiatrische Beurteilung von Adolf Eichmann vorzunehmen.
Dr. Kluchar traf sich über einen Zeitraum von zwei Monaten mehrfach mit dem zu Untersuchenden. Einer der Tests, die er bei Eichmann durchführte, war der „Szondi-Test“. Ohne den Namen des Probanden zu nennen, übermittelte Dr. Kulchar die Ergebnisse der Untersuchung an den Erfinder des Tests, Leopold Szondi. Szondi hatte sich ursprünglich geweigert, eine so genannte „Blinddiagnose“ zu stellen, doch nach einer kurzen Durchsicht der Ergebnisse konnte er einfach nicht ignorieren, was er sah. Er schickte dem israelischen Psychiater umgehend eine Antwort, in der er erklärte, er habe noch nie so beunruhigende Ergebnisse gesehen. In einem späteren Telefongespräch erzählte Szondi, dass er aufgrund der Testergebnisse den Eindruck gewonnen habe, dass dieser „Mann unkontrollierbare mörderische Tendenzen hat (laut einem Artikel, der am 10. März 2000 in der Zeitung Yediot Ahronot veröffentlicht wurde).“
Wer war Leopold Szondi und welchen Test hat er entwickelt?
Sagen Sie mir, wer Sie sind, und ich sage Ihnen, wer Sie sind
Das 20. Jahrhundert war eine Zeit intensiver Erforschung der menschlichen Psyche und ihrer Schwächen. In diesem Jahrhundert wurde die Psychologie zu einer wissenschaftlichen Disziplin, das Unterbewusstsein zu einer Forschungskategorie und die Kindheit zu einem Sandsack, dem man die Schuld für fast jedes Verhalten oder jede Schwäche eines Erwachsenen geben konnte.
Einer der am weitesten verbreiteten und umstrittensten psychologischen Tests dieses „psychologischen Jahrhunderts“ wurde 1937 von dem ungarisch-jüdischen Psychologen Leopold Szondi entwickelt. Szondi hat sich zeitlebens mit Fragen des Schicksals und der Genetik auseinandergesetzt. Im Gegensatz zu Sigmund Freud, der die Kindheit als den Zeitraum ansah, in dem die Persönlichkeit eines Menschen geformt wird und sich seine psychischen Neurosen entwickeln, stellte Szondi eine Theorie auf, die der genetischen Veranlagung des Menschen eine entscheidende Rolle zuweist. Szondi glaubte, dass die Struktur der Psyche eines Menschen – und nicht nur sein äußeres Erscheinungsbild – überwiegend durch sein Erbgut bestimmt wird.
Szondi sah das menschliche Leben als ein komplexes Spiel zwischen Freiheit und Beschränkung – zwischen der Freiheit, die einem Menschen in seinen persönlichen Entscheidungen und Vorlieben gegeben ist, und seiner genetischen Veranlagung zu bestimmten psychischen Krankheiten. Um die genetische Veranlagung eines Menschen und, was nicht minder wichtig ist, seine Einstufung auf der Krankheitsskala genau zu diagnostizieren, entwickelte Szondi einen einfachen Test.
Die medizinisch-psychologische Anamnese eines Patienten zu erstellen, ist eine komplexe Aufgabe, die Szondi mit Hilfe des folgenden Tests zu vereinfachen versuchte. Er sammelte 48 Fotos von Patienten, die an acht verschiedenen psychischen Krankheiten litten, die er (fälschlicherweise) in vier Gegensatzpaare einteilte:
- Homosexualität versus Sadismus
- Epilepsie versus Hysterie
- Katatonie versus Paranoia
- Depression versus Manie
Szondi legte fest, dass der Prüfling an sechs aufeinanderfolgenden Tagen jeden Tag eine Reihe von acht Fotos durchgehen muss und aus jeder Reihe zwei Fotos auswählen muss, die er oder sie attraktiv findet und zwei, die er oder sie abstoßend findet. Am Ende der sechstägigen Testphase hat die Testperson 12 Fotos ausgewählt, die sie attraktiv findet, und 12, die sie abstoßend findet, woraus der Arzt ein detailliertes Profil des Probanden erstellt und seinen Platz in jeder Kategorie ermittelt. Der gesamte Test basiert auf einer Theorie, die besagt, dass psychische Krankheiten in den Gesichtszügen einer Person zum Ausdruck kommen und dass der Grad der Anziehung oder Abstoßung, den eine Person empfindet, eine Diagnose darüber ermöglicht, welche Krankheit in ihren Genen „gespeichert“ ist und in welchem Stadium sie sich befindet.
Die meisten Theorien von Szodi sowie der von ihm entwickelte Test wurden schon vor Jahrzehnten widerlegt. Heute wissen wir, dass Homosexualität keine Geisteskrankheit ist. Auch die Theorie, dass sich Geisteskrankheiten in den Gesichtszügen ausdrücken, wurde widerlegt. Der entlarvte Szondi-Test stellt uns jedoch vor ein ungelöstes Rätsel: Wenn die von Dr. Kulcher erzählte Geschichte tatsächlich wahr ist, wie konnte Dr. Szondi die mörderische Persönlichkeit Eichmanns so genau diagnostizieren?
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