Internet Encyclopedia of Philosophy

Deutscher Theologe, Professor, Pfarrer und Kirchenreformator. Luther begann die protestantische Reformation mit der Veröffentlichung seiner fünfundneunzig Thesen am 31. Oktober 1517. In dieser Veröffentlichung wandte er sich gegen den Ablasshandel der Kirche. Er vertrat eine Theologie, die auf Gottes gnädigem Handeln in Jesus Christus und nicht auf menschlichen Werken beruhte. Fast alle Protestanten führen ihre Geschichte auf die eine oder andere Weise auf Luther zurück. Luthers Verhältnis zur Philosophie ist komplex und sollte nicht nur nach seiner berühmten Aussage beurteilt werden, dass „die Vernunft des Teufels Hure ist“

Angesichts von Luthers Kritik an der Philosophie und seinem berühmten Satz, dass die Philosophie die „Hure des Teufels“ sei, könnte man leicht annehmen, dass Luther nur Verachtung für Philosophie und Vernunft empfand. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Luther war vielmehr der Meinung, dass Philosophie und Vernunft in unserem Leben und im Leben der Gemeinschaft eine wichtige Rolle spielen müssen. Er hielt es jedoch auch für wichtig, sich daran zu erinnern, welche Rolle sie spielen, und den richtigen Gebrauch der Philosophie nicht mit einem unangemessenen zu verwechseln.

Wenn Philosophie und Vernunft richtig verstanden und gebraucht werden, sind sie eine große Hilfe für den Einzelnen und die Gesellschaft. Unsachgemäß angewendet, werden sie zu einer großen Bedrohung für beide. Ebenso sind Offenbarung und Evangelium, wenn sie richtig angewandt werden, eine Hilfe für die Gesellschaft, aber wenn sie missbraucht werden, haben sie auch traurige und tiefgreifende Auswirkungen.

Inhaltsverzeichnis

  1. Biographie
  2. Theologie
    1. Theologischer Hintergrund: William von Occam
    2. Theologie des Kreuzes
    3. Das Gesetz und das Evangelium
    4. Deus Absconditus – Der verborgene Gott
  3. Beziehung zur Philosophie
  4. Referenzen und weiterführende Literatur
    1. Primärquellen
    2. Sekundärquellen

1. Biographie

Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben im Heiligen Römischen Reich – im heutigen Ostdeutschland – als Kind von Bauern geboren. Bald nach Luthers Geburt zog seine Familie von Eisleben nach Mansfeld. Sein Vater war ein relativ erfolgreicher Bergmann und Schmelzer, und Mansfeld war eine größere Bergbaustadt. Martin war der zweite Sohn von Hans und Magarete (Lindemann) Luther. Zwei seiner Brüder starben bei Ausbrüchen der Pest. Ein weiterer Bruder, James, wurde erwachsen.

Luthers Vater wusste, dass der Bergbau ein zyklischer Beruf war, und er wollte mehr Sicherheit für seinen vielversprechenden jungen Sohn. Hans Luther beschloss, alles zu tun, was nötig war, damit Martin Anwalt werden konnte. Hans sorgte dafür, dass Martin im Alter von etwa sieben Jahren in die Schule in Mansfeld kam. Der Schwerpunkt der Schule lag auf Latein und ein wenig Logik und Rhetorik. Als Martin 14 Jahre alt war, wurde er nach Magdeburg geschickt, um seine Studien fortzusetzen. Er blieb nur ein Jahr in Magdeburg und besuchte dann bis 1501 die Lateinschule in Eisenach. Im Jahr 1501 immatrikulierte er sich an der Universität Erfurt, wo er das Grundstudium zum Magister Artium absolvierte (Grammatik, Logik, Rhetorik, Metaphysik, etc.). Für seine geistige und theologische Entwicklung war es von großer Bedeutung, dass die Theologie und Metaphysik von William von Occam im Erfurter Lehrplan eine wichtige Rolle spielte. Im Jahr 1505 schien es, als würden die Pläne von Han Luther endlich verwirklicht werden. Sein Sohn stand kurz davor, Jurist zu werden. Doch ein Gewitter und ein Gelübde unterbrachen Luthers Pläne.

Im Juli 1505 geriet Martin in ein furchtbares Gewitter. Aus Angst vor dem Tod schrie er ein Gelübde: „Rette mich, heilige Anna, und ich werde ein Mönch.“ Die heilige Anna war die Mutter der Jungfrau Maria und die Schutzpatronin der Bergleute. Die meisten sind der Meinung, dass diese Zusage, Mönch zu werden, nicht aus der Luft gegriffen sein kann und stattdessen eine Intensivierungserfahrung darstellt, bei der ein bereits formulierter Gedanke erweitert und vertieft wird. Am 17. Juli trat Luther in das Augustinerkloster in Erfurt ein.

Die Entscheidung, in das Kloster einzutreten, fiel ihm schwer. Martin wusste, dass er seine Eltern sehr enttäuschen würde (was er auch tat), aber er wusste auch, dass man ein Gott gegebenes Versprechen halten muss. Darüber hinaus hatte er aber auch starke innere Gründe, ins Kloster einzutreten. Luther wurde von Unsicherheiten über sein Seelenheil heimgesucht (er beschreibt diese Unsicherheiten in markanten Tönen und nennt sie Anfectungen oder Afflictions). Ein Kloster war der perfekte Ort, um Gewissheit zu finden.

Gewissheit blieb ihm jedoch verwehrt. Er stürzte sich mit Verve in das Leben eines Mönchs. Es schien nicht zu helfen. Schließlich riet ihm sein Mentor, sich bei seiner Suche nach Gewissheit auf Christus und ihn allein zu konzentrieren. Obwohl ihn seine Ängste noch jahrelang plagen sollten, wurde in diesem Gespräch der Samen für seine spätere Gewissheit gelegt.

Im Jahr 1510 reiste Luther als Teil einer Delegation seines Klosters nach Rom (er war nicht sehr beeindruckt von dem, was er sah).) 1511 wechselte er vom Kloster in Erfurt in eines in Wittenberg, wo er nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie Professor für biblische Theologie an der neu gegründeten Universität Wittenberg wurde.

1513 begann er mit seinen ersten Vorlesungen über die Psalmen. In diesen Vorlesungen beginnt Luthers Kritik an der theologischen Welt um ihn herum Gestalt anzunehmen. Später, in den Vorlesungen über den Römerbrief des Paulus (1515/16), wird diese Kritik noch deutlicher. In diesen Vorlesungen fand Luther endlich die Gewissheit, die ihm jahrelang gefehlt hatte. Die Entdeckung, die Luthers Leben veränderte, veränderte letztlich den Lauf der Kirchengeschichte und der Geschichte Europas. Im Römerbrief schreibt Paulus von der „Gerechtigkeit Gottes“. Luther hatte diesen Begriff immer so verstanden, dass Gott ein gerechter Richter sei, der von den Menschen Gerechtigkeit verlange. Jetzt verstand Luther Gerechtigkeit als ein Geschenk der Gnade Gottes. Er hatte die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade entdeckt (oder wiedergefunden). Diese Entdeckung versetzte ihn in Aufruhr.

Im Jahr 1517 schlug er ein Thesenblatt zur Diskussion an die Tür der Universitätskapelle. Diese fünfundneunzig Thesen enthielten eine vernichtende Kritik am Ablasshandel der Kirche und erläuterten die Grundlagen der Rechtfertigung allein aus Gnade. Luther schickte auch eine Kopie der Thesen an Erzbischof Albrecht von Mainz und forderte ihn auf, den Ablasshandel zu beenden. Albrecht war nicht amüsiert. In Rom betrachteten die Kardinäle Luthers Thesen als einen Angriff auf die päpstliche Autorität. 1518 legte Luther auf einer Versammlung des Augustinerordens in Heidelberg seine Positionen noch präziser dar. In der Heidelberger Disputation sehen wir die Anzeichen für eine Reifung in Luthers Denken und eine neue Klarheit in Bezug auf seine theologische Perspektive – die Theologie des Kreuzes.

Nach dem Heidelberger Treffen im Oktober 1518 wurde Luther vom päpstlichen Legaten, Thomas Kardinal Cajetan, aufgefordert, seine Positionen zu widerrufen. Luther erklärte, er könne nicht widerrufen, es sei denn, man würde ihn durch Appelle an die „Schrift und die rechte Vernunft“ auf seine Fehler hinweisen, und er würde in der Tat nicht widerrufen können. Luthers Weigerung, zu widerrufen, setzte seine endgültige Exkommunikation in Gang.

Das ganze Jahr 1519 hindurch hielt Luther weiterhin Vorlesungen und schrieb in Wittenberg. Im Juni und Juli desselben Jahres nahm er in Leipzig an einer weiteren Debatte über den Ablasshandel und das Papsttum teil. Schließlich, im Jahr 1520, hatte der Papst genug. Am 15. Juni erließ der Papst eine Bulle (Exsurge Domini – Erhebe dich, Herr) und drohte Luther mit der Exkommunikation. Luther erhielt die Bulle am 10. Oktober. Am 10. Dezember verbrannte er sie öffentlich.

Im Januar 1521 wurde Luther vom Papst exkommuniziert. Im März wurde er von Kaiser Karl V. nach Worms vorgeladen, um sich zu verteidigen. Auf dem Reichstag von Worms weigerte sich Luther, seine Position zu widerrufen. Ob er tatsächlich sagte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, ist ungewiss. Bekannt ist, dass er sich weigerte zu widerrufen und am 8. Mai unter kaiserlichen Bann gestellt wurde.

Dies brachte Luther und seinen Herzog in eine schwierige Lage. Luther war nun ein verurteilter und gesuchter Mann. Luther versteckte sich bis Mai 1522 auf der Wartburg und kehrte dann nach Wittenberg zurück. Er setzte seine Lehrtätigkeit fort. Im Jahr 1524 verließ Luther das Kloster. Im Jahr 1525 heiratete er Katharina von Bora.

Von 1533 bis zu seinem Tod im Jahr 1546 war er Dekan der theologischen Fakultät in Wittenberg. Er starb am 18. Februar 1546 in Eisleben.

2. Theologie

a. Theologischer Hintergrund: Wilhelm von Occam

Das mittelalterliche Weltbild war rational, geordnet und synthetisch. Thomas von Aquin verkörperte sie. Sie überlebte, bis die Säuren des Krieges, der Pest, der Armut und des sozialen Unfriedens begannen, die ihr zugrundeliegende Voraussetzung zu zerfressen – dass die Welt auf dem Wesen Gottes beruhte.

Alles Leben war im Geist Gottes begründet. In der Hierarchie des Seins, die die Gerechtigkeit begründet, wurde die Kirche als Verbindung zwischen dem Weltlichen und dem Göttlichen verstanden. Als jedoch die Krisen des Spätmittelalters zunahmen, reichte diese Sicherheit nicht mehr aus.

William von Occam erkannte die Unzulänglichkeiten des Thomas’schen Systems und strich den größten Teil der ontologischen Grundlegung des Daseins. An ihre Stelle setzte Occam die Offenbarung und den Bund. Die Welt muss nicht auf einer künstlichen, unerkennbaren Seinsleiter beruhen. Stattdessen muss man sich auf die Treue Gottes verlassen. Wir sind von Gott allein abhängig.

Diese Abhängigkeit wäre schrecklich und unerträglich ohne die Zusicherung des Bundes Gottes. Im Sinne der absoluten Macht Gottes (potentia absoluta) kann Gott alles tun. Er kann eine Lüge zur Wahrheit machen, er kann Ehebruch zu einer Tugend und Monogamie zu einem Laster machen. Die einzige Grenze dieser Macht ist die Konsistenz – Gott kann seinem eigenen Wesen nicht widersprechen. Es wäre schrecklich, in einer Welt zu leben, die von Launen bestimmt wird; man wüsste nie, ob man gerecht oder ungerecht handelt. Gott hat sich jedoch für eine bestimmte Art des Handelns entschieden (potentia ordinata). Gott hat einen Bund mit der Schöpfung geschlossen und sich zu einer bestimmten Art des Handelns verpflichtet.

Obwohl Occam einen Teil von Thomas ablehnte, verwarf er nicht das gesamte scholastische Projekt. Auch er synthetisierte und stützte sich stark auf Aristoteles. Diese Abhängigkeit wird in der Bundesfrömmigkeit der Rechtfertigung bedeutsam. Die grundlegende Frage der Rechtfertigung lautet: Wo findet man die Gemeinschaft mit Gott, d. h. woher weiß man, dass man von Gott angenommen ist? Die Logik des Aristoteles lehrte Thomas und Occam, dass „Gleiches durch Gleiches erkannt wird“. Die Vereinigung oder Gemeinschaft mit Gott muss also auf der Ebene Gottes stattfinden. Wie kann das geschehen? Praxis.

Alle Menschen werden, so wurde argumentiert, mit einem Potential geboren. Auch wenn die ganze Schöpfung unter der Verurteilung durch den Sündenfall von Adam und Eva leidet, bleibt ein göttlicher Funke der Potentialität, eine Syntersis, bestehen. Dieses Potenzial muss verwirklicht werden. Es muss zur Gewohnheit werden. Die Gewöhnung war sowohl für Thomas als auch für Occam wichtig; Occam modifiziert jedoch Thomas leicht, und diese Modifikation hat wichtige Auswirkungen auf Luthers Suche nach einem gnädigen Gott.

Aus der Sicht von Thomas ist der göttliche Funke von Gottes Gnade durchdrungen und gibt dem Menschen die Kraft, zerknirscht zu sein (contritio) und mit Gott zusammenzuarbeiten. Dieses Zusammenwirken mit Gottes Gnade verdient Gottes Lohn (meritum de condign). Occam stellte jedoch eine wichtige Frage: Wenn der Prozess mit der Infusion von Gottes Gnade beginnt, kann er dann wirklich etwas verdienen? Er antwortete: Nein! Deshalb sollte man sein Bestes geben. Indem man sein Bestes tut, auch wenn es noch so gering ist, wird man sich die Gnadengabe verdienen (meritum de congruo): facienti quod in se est Deus non denegat gratiam (Gott wird seine Gnade niemandem verweigern, der tut, was in ihm liegt.) Sein Bestes zu tun bedeutete, das Böse abzulehnen und das Gute zu tun.

In diesem Kontext des Bundes bemühte sich Luther zu beweisen, dass er gut genug war, um sich Gottes Gnade zu verdienen. Es gelang ihm jedoch nicht, sich selbst zu überzeugen. Er mag zerknirscht gewesen sein, aber war er zerknirscht genug? Diese Unsicherheit quälte ihn jahrelang.

b. Theologie des Kreuzes

Luthers Versuche, seine Würdigkeit zu beweisen, scheiterten. Er wurde weiterhin von Ungewissheit und Zweifeln an seinem Seelenheil geplagt. Schließlich fand er in seinen Vorlesungen über den Römerbrief des Paulus Trost. Anstelle von Verdiensten, Ablässen, Gewöhnung und dem „Tun, was in einem steckt“, nimmt Gott den Sünder trotz der Sünde an. Die Annahme beruht auf dem, was man ist, und nicht auf dem, was man tut. Die Rechtfertigung wird geschenkt und nicht erlangt. Die Rechtfertigung beruht nicht auf menschlicher Gerechtigkeit, sondern auf Gottes Gerechtigkeit, die in Christus offenbart und bestätigt wurde.

Im heiligen Paulus fand Luther schließlich ein Wort der Hoffnung. Er fand endlich ein Wort der Gewissheit und entdeckte die Gnade Gottes. Die Entdeckung von Gottes Gnade pro me (für mich) revolutioniert alle Aspekte von Luthers Leben und Denken. Von nun an bestand Luthers Antwort auf die Prüfungen seines Lebens und die Krisen des späten Mittelalters darin, sich Gottes gewiss zu sein, aber niemals in der menschlichen Gesellschaft sicher zu sein.

Eine Tautologie von Luthers Theologie wird: Man muss immer „Gott Gott sein lassen“. Das macht den Menschen frei, Mensch zu sein. Wir müssen das Heil nicht erreichen, sondern es ist ein Geschenk, das wir empfangen. Das Heil ist also die Voraussetzung für das Leben des Christen und nicht sein Ziel. Aus dieser Überzeugung heraus lehnt er den Ablass ab und wendet sich der theologia crucis (Theologie des Kreuzes) zu.

Warum wurde der Ablass abgelehnt? Einfach gesagt, verkörpert er alles, was aus Luthers Sicht mit der Kirche nicht in Ordnung war. Anstatt sich auf Gott zu verlassen, legten sie das Heil in die Hände von reisenden Verkäufern, die Ablassbriefe verkauften. Sie verkörpern seine Ablehnung aller Arten von Theologie, die auf Modellen des Bundes beruhen.

Die Bedeutung der Theologie des Kreuzes war die Entdeckung der passiven Gerechtigkeit Gottes und der theologischen Modelle, die auf dem Testament beruhen. Vom Autor des Hebräerbriefs nimmt Luther ein Verständnis von Jesus Christus als dem letzten Willen und Testament Gottes. Gott hat die Menschheit als Erben Gottes und Miterben Christi in sein Testament geschrieben (siehe Römer 8).

Die Ablehnung von Theologien mit Bundesmodellen und die Hinwendung zu Testamenten ist ein grundlegender Aspekt von Luthers theologia crucis. Sie ist eine Ablehnung jeglicher Art von Theologie der Herrlichkeit (theologia gloriae). Die Ablehnung der Theologie der Herrlichkeit hat eine tiefgreifende Auswirkung auf Luthers Anthropologie des Christen.

Diese Ablehnung wird durch Luthers kleine, aber bedeutende Veränderung der augustinischen Anthropologie veranschaulicht. In diesem System ist der Mensch partim bonnum, partim malum oder partim iustus, partim peccare (teils gut/gerecht, teils schlecht/sündig). Das Ziel des Lebens eines Christen ist es, in der Gerechtigkeit zu wachsen. Mit anderen Worten, man muss daran arbeiten, die Seite der Gleichung, die schlecht und sündig ist, zu verringern. In dem Maße, wie man die Sünde in sich selbst verringert, nehmen die guten und gerechten Aspekte des eigenen Wesens zu.

Luthers Anthropologie ist jedoch eine völlige Ablehnung des Fortschritts; denn egal wie man ihn versteht, er ist ein Werk und muss daher abgelehnt werden. Luthers alternative Charakterisierung der christlichen Anthropologie war simul iustus et peccator (zugleich gerecht und sündig). Nun beginnt er, von der Gerechtigkeit in zweierlei Hinsicht zu sprechen: coram deo (Gerechtigkeit vor Gott) und coram hominibus (vor dem Menschen). Anstelle einer Entwicklung der Gerechtigkeit, die in der Person begründet ist, oder einer Zufuhr von Verdienst durch die Heiligen, wird eine Person aufgrund der Werke Christi als gerecht vor Gott beurteilt. Aber ohne die Perspektive Gottes und der Gerechtigkeit Christi, die auf dem eigenen Verdienst beruht, sieht ein Christ immer noch wie ein Sünder aus.

c. Das Gesetz und das Evangelium

Die Unterscheidung zwischen dem Gesetz und dem Evangelium ist eine grundlegende Dialektik in Luthers Denken. Er argumentiert, dass Gott mit der Menschheit auf zwei grundlegende Arten interagiert – durch das Gesetz und das Evangelium. Das Gesetz kommt zu den Menschen als die Gebote Gottes – wie die Zehn Gebote. Das Gesetz ermöglicht es der menschlichen Gemeinschaft zu existieren und zu überleben, weil es Chaos und Böses begrenzt und uns von unserer Sündhaftigkeit überführt. Die gesamte Menschheit hat durch das Gewissen ein gewisses Verständnis für das Gesetz. Das Gesetz überführt uns unserer Sünde und führt uns zum Evangelium, aber es ist nicht Gottes Weg zur Erlösung.

Die Erlösung kommt zu den Menschen durch die Frohe Botschaft (Evangelium) von Jesus Christus. Die Gute Nachricht ist, dass die Gerechtigkeit keine Forderung an den Sünder ist, sondern ein Geschenk an den Sünder. Der Sünder nimmt das Geschenk einfach durch den Glauben an. Für Luther bestand die Torheit des Ablasshandels darin, dass er das Gesetz mit dem Evangelium verwechselte. Indem er behauptete, dass der Mensch etwas tun müsse, um Vergebung zu verdienen, verbreitete er die Vorstellung, dass das Heil erreicht und nicht empfangen wird. Ein großer Teil von Luthers Karriere konzentrierte sich darauf, die Idee des Gesetzes als Weg zur Erlösung zu dekonstruieren.

d. Deus Absconditus – Der verborgene Gott

Ein weiterer grundlegender Aspekt von Luthers Theologie ist sein Verständnis von Gott. Indem er einen Großteil des scholastischen Denkens ablehnte, verwarf Luther den scholastischen Glauben an eine Kontinuität zwischen Offenbarung und Wahrnehmung. Luther stellt fest, dass Offenbarung indirekt und verborgen sein muss. Luthers Theologie gründet sich auf das Wort Gottes (daher seine Formulierung sola scriptura – allein die Schrift). Sie beruht nicht auf Spekulation oder philosophischen Prinzipien, sondern auf der Offenbarung.

Aufgrund des gefallenen Zustandes des Menschen kann man weder das erlösende Wort verstehen noch Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Hier sind Luthers Ausführungen zu Nummer zwanzig seiner Heidelberger Disputation wichtig. Es ist eine Anspielung auf Exodus 33, wo Mose versucht, die Herrlichkeit des Herrn zu sehen, aber stattdessen nur die Rückseite sieht. Niemand kann Gott von Angesicht zu Angesicht sehen und leben, also offenbart sich Gott auf der Rückseite, d.h. dort, wo er scheinbar nicht sein sollte. Für Luther bedeutete dies in der menschlichen Natur Christi, in seiner Schwachheit, seinem Leiden und seiner Torheit.

Die Offenbarung wird also eher im Leiden Christi gesehen als im moralischen Handeln oder in der geschaffenen Ordnung und ist an den Glauben gerichtet. Der Deus Absconditus ist eigentlich ganz einfach. Er ist eine Absage an die Philosophie als Ausgangspunkt der Theologie. Und warum? Weil man, wenn man mit philosophischen Kategorien für Gott beginnt, mit den Attributen Gottes beginnt: d.h. allwissend, allgegenwärtig, allmächtig, unfassbar usw. Für Luther war es unmöglich, dort anzusetzen und mit Hilfe von Syllogismen oder anderen logischen Mitteln zu einem Gott zu gelangen, der für die Menschen am Kreuz leidet. Das funktioniert einfach nicht. Der Gott, der sich in und durch das Kreuz offenbart, ist nicht der Gott der Philosophie, sondern der Gott der Offenbarung. Nur der Glaube kann dies verstehen und würdigen, Logik und Vernunft – um den heiligen Paulus zu zitieren – werden zu einem Stolperstein für den Glauben statt zu einem Helfer.

3. Verhältnis zur Philosophie

Angesichts von Luthers Kritik an der Philosophie und seiner berühmten Formulierung, dass die Philosophie die „Hure des Teufels“ sei, könnte man leicht annehmen, dass Luther nur Verachtung für Philosophie und Vernunft übrig hatte. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Luther war vielmehr der Meinung, dass Philosophie und Vernunft in unserem Leben und im Leben der Gemeinschaft eine wichtige Rolle spielen müssen. Er hielt es jedoch auch für wichtig, sich daran zu erinnern, welche Rolle sie spielen, und den richtigen Gebrauch der Philosophie nicht mit einem unangemessenen zu verwechseln.

Wenn Philosophie und Vernunft richtig verstanden und gebraucht werden, sind sie eine große Hilfe für den Einzelnen und die Gesellschaft. Unsachgemäß angewendet, werden sie zu einer großen Bedrohung für beide. Ebenso sind Offenbarung und Evangelium, wenn sie richtig angewandt werden, eine Hilfe für die Gesellschaft, aber wenn sie falsch angewandt werden, haben sie auch traurige und tiefgreifende Auswirkungen.

Die richtige Rolle der Philosophie ist eine organisatorische und eine Hilfe zur Leitung. Als Kardinal Cajetan zum ersten Mal Luthers Widerruf der fünfundneunzig Thesen forderte, berief sich Luther auf die Heilige Schrift und die rechte Vernunft. Die Vernunft kann eine Hilfe für den Glauben sein, indem sie zur Klärung und Organisation beiträgt, aber sie ist immer ein Diskurs zweiter Ordnung. Nach dem heiligen Anselm ist es fides quarenes intellectum (der Glaube sucht den Verstand) und niemals umgekehrt. Die Philosophie sagt uns, dass Gott allmächtig und unantastbar ist; die Offenbarung sagt uns, dass Jesus Christus für die Sünden der Menschheit gestorben ist. Beides lässt sich nicht miteinander vereinbaren. Die Vernunft ist die Hure des Teufels, gerade weil sie die falschen Fragen stellt und in der falschen Richtung nach Antworten sucht. Die Offenbarung ist der einzig richtige Ort, an dem die Theologie ansetzen kann. Die Vernunft muss immer in den Hintergrund treten.

Die Vernunft spielt eine wichtige Rolle in der Regierung und in den meisten menschlichen Beziehungen. Die Vernunft, so argumentierte Luther, ist notwendig für eine gute und gerechte Gesellschaft. Im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen glaubte Luther nicht, dass ein Herrscher christlich sein müsse, sondern nur vernünftig. Im Gegensatz zu seiner theologischen Diskussion ist es hier die Offenbarung, die unangemessen ist. Der Versuch, nach dem Vorbild des Evangeliums zu regieren, würde entweder die Regierung oder das Evangelium korrumpieren. Die grundlegende Botschaft des Evangeliums ist die Vergebung, die Regierung muss für Gerechtigkeit sorgen. Diese beiden Dinge zu verwechseln, ist genauso beunruhigend, wie sie zu verwechseln, wenn es um Theologie geht. Wenn die Vergebung zum vorherrschenden Modell in der Regierung wird, weil die Menschen sündig sind, wird das Chaos zunehmen. Wenn die Regierung jedoch das Evangelium für sich in Anspruch nimmt, aber auf der Grundlage der Gerechtigkeit handelt, dann werden die Menschen über die eigentliche Natur des Evangeliums irregeführt.

Luther hat selbstbewusst versucht, der Offenbarung und der Philosophie oder der Vernunft eigene Bereiche zuzuweisen. Beide hatten eine angemessene Rolle, die es der Menschheit ermöglichte, zu gedeihen. Man kann Luthers Beziehung zur Philosophie und seine Diskussionen über die Philosophie nicht verstehen, ohne diesen Schlüsselbegriff zu kennen.

4. Referenzen und weiterführende Literatur

a. Primärquellen

Schlüsselquellen in englischer Sprache:

  • Luther’s Works (LW), ed. J. Pelikan and H.T. Lehmann. St. Louis, MO: Concordia, und Philadelphia, PA: Fortress Press, 1955 -1986. 55 Bände.
    • Von allen Hauptwerken Luthers ist dies die beste Ausgabe in englischer Sprache. Sie wird bald auf CD-Rom erscheinen.
  • 1513-1515, Vorlesungen über die Psalmen (LW: 10 -11).
    • Luthers früheste Vorlesungen. Sie sind wichtig, weil wir beginnen, Themen zu sehen, die schließlich zur Theologie des Kreuzes werden.
  • 1515-1516, Vorlesungen über den Römerbrief (LW: 25).
    • Die Muster der Theologie des Kreuzes werden ein wenig deutlicher. Viele Gelehrte glauben, dass Luther seine endgültige Entdeckung der Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben während dieser Vorlesungen machte.
  • 1517, Fünfundneunzig Thesen (LW: 31).
    • Das wegweisende Dokument der Reformation in Deutschland. Diese Thesen führten zum endgültigen Bruch mit Rom in der Frage des Ablasses und der Gnade.
  • 1518, Heidelberger Disputation (LW: 31)
    • Das beste Beispiel für Luthers entstehende Theologie des Kreuzes: Er stellt die menschlichen Werke den Werken Gottes im und durch das Kreuz gegenüber und zeigt die Leere menschlicher Leistung und die Bedeutung der Gnade.
  • 1519, Zwei Arten von Gerechtigkeit (LW:31).
    • Zusammenfassung seiner Position, dass Gerechtigkeit eher empfangen als erreicht wird.
  • 1520, Freiheit eines Christenmenschen (LW: 31).
    • Luthers Ethik, in der er erklärt: „Ein Christ ist ein vollkommen freier Herr über alles und niemandem untertan. Ein Christ ist ein vollkommen pflichtbewusster Diener aller, der allen untertan ist.“
  • 1520, An den deutschen Adel (LW: 44).
    • Ein Aufruf zur Reform in Deutschland, der einen Teil der Komplexität von Luthers Gedanken über die Beziehungen zwischen Kirche und Staat hervorhebt.
  • 1521, Über den Buchstaben und den Geist (LW: 39).
    • Eine Zusammenfassung von Gesetz und Evangelium.
  • 1522, Vorrede zum Römerbrief (LW: 35).
    • Eine Zusammenfassung von Luthers Verständnis der Rechtfertigung durch den Glauben.
  • 1523, Über die zeitliche Obrigkeit (LW 45).
    • Legt Luthers Lehre von den zwei Königreichen am deutlichsten dar.
  • 1525, Die Knechtschaft des Willens (LW: 33).
    • In einer Debatte mit Erasmus über die menschliche Freiheit und die Knechtschaft der Sünde. Luther argumentiert, dass der Mensch vollständig an die Sünde gebunden ist und nur durch Gottes Gnade von dieser Knechtschaft befreit wird.
  • 1525, Gegen die raubenden und mordenden Horden der Bauern (LW:45).
    • Geschrieben vor dem Bauernkrieg, wurde es danach veröffentlicht.
  • 1530, Großer Katechismus (LW:34).
    • Eine Zusammenfassung der christlichen Lehre, die im Unterricht verwendet werden soll.
  • 1531, Dr. Martin Luthers Warnung an sein liebes deutsches Volk (LW:45).
    • Luthers erste Äußerung eines Rechts auf Widerstand gegen Tyrannei.
  • 1536, Disputation über die Rechtfertigung (LW: 34).
    • Eine reife Darstellung von Luthers Lehre über die Rechtfertigung.
  • 1536, Disputation über den Menschen (LW: 34).
    • Seine Anthropologie, gibt aber auch einen Einblick in sein Verständnis der angemessenen Rolle von Philosophie und Vernunft.

b. Sekundärquellen

Schlüsselsekundärquellen in englischer Sprache zum Leben und Denken Luthers:

  • Bainton,Roland H.Here I Stand: A Life of Martin Luther. New York: Abingdon-Cokesbury Press, 1950.
    • Die populärste Biographie Luthers, sie ist nachlesbar und sehr gründlich.
  • Brecht, Martin. Martin Luther. Three Volumes. Übersetzt von James L. Schaaf. Philadelphia: Fortress Press, 1985-1993.
    • Die maßgebliche Biographie von Luther.
  • Cameron, Euan. The European Reformation.Oxford: Clarendon Press, 1991.
    • Eine ausgezeichnete Einführung in die Reformationszeit.
  • Cargill Thompson,W.D.J. The Political Thought of Martin Luther. Edited by Philip Broadhead. Totowa, NJ: Barnes & Noble Books, 1984.
    • Das beste Werk über Luthers politische Theologie.
  • Edwards, Mark U., Jr. Luther’s Last Battles: Politics and Polemics, 1531-1546.Ithaca: Cornell University Press, 1983.
    • Eines der wenigen Bücher, die sich auf den älteren Luther konzentrieren. Es ist eine ausgezeichnete Studie über Luther nach dem Augsburger Reichstag.
  • Forde, Gerhard, O.On Being a Theologian of the Cross: Überlegungen zu Luthers Heidelberger Disputation, 1518. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1997.
    • Die Theologie des Kreuzes ist eine grundlegende Lehre bei Luther. Forde wirft einen neuen Blick auf die Lehre im Licht von Luthers Rolle als Pastor.
  • George, Timothy. Theology of the Reformers. Nashville: Broadman Press, 1988.
    • Dies ist eine ausgezeichnete Einführung in Luther und stellt sein Denken in den Dialog mit anderen großen Reformatoren, d.h. Zwingli und Calvin.
  • Lindberg, Carter. The European Reformations Oxford: Blackwell Publishers, Ltd. 1996.
    • Die beste Einführung in die Reformationszeit, die nicht nur die Reformatoren, sondern auch den Kontext und die Kultur der Epoche behandelt.
  • Loewenich, Walter von. Luthers Theologie des Kreuzes, trans. Herber J.A. Bouman. Minneapolis: Augsburg Publishing House, 1976.
    • Das klassische Werk zur Theologie des Kreuzes.
  • Lohse, Bernhard. Martin Luther:Eine Einführung in sein Leben und Werk. Übersetzt von Robert C. Schultz.Philadelphia: Fortress Press, 1986.
    • In einem Handbuchformat ist dies ein unverzichtbares Nachschlagewerk zu Luther und seinen Werken.
  • McGrath, Alister E. The Intellectual Origins of the European Reformation. Oxford: Blackwell Press, 1987.
    • Dieses Buch behandelt den scholastischen und nominalistischen Hintergrund der Reformation.
  • Oberman,Heiko. The Dawn of the Reformation: Essays in Late Medieval and Early Reformation Thought. Edinburgh: T & T Clark, 1986.
    • Ein Klassiker, der die Reformationszeit in den größeren Kontext des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit stellt.
  • Luther: Der Mensch zwischen Gott und dem Teufel. Übersetzt von Eileen Walliser-Schwarzbart. New York: Image Books, Doubleday:1982.
    • Eine ausgezeichnete Luther-Biographie, die Luther im Lichte seiner Suche nach einem gnädigen Gott und seinem Kampf gegen den Teufel untersucht.
  • Ozment, Steven. The Age of Reform:1250-1550:An Intellectual and Religious History of Late Medieval and Reformation Europe. New Haven:Yale University Press, 1980.
    • Ozment stellt die Reformation in einen breiteren Kontext und sieht den Anstoß zur Reform bis in die Zeit zurückreichen, die normalerweise als das Hochmittelalter angesehen wird.
  • Pelikan, Jaroslav. The Christian Tradition: Eine Geschichte der Entwicklung der Doktrin. Band 4: Reformation von Kirche und Dogma (1300-1700). Chicago: University of Chicago Press, 1984.
    • Als Teil einer fünfbändigen Geschichte der Lehre befasst sich Pelikan mit den Fragen der Lehre, die in der Reformation eine Rolle spielten. Es geht ihm weniger um die Geschichte als um die theologische Entwicklung.
  • Rupp,Gordon. Patterns of Reformation. Philadelphia: Fortress Press,1969.
    • Eine gründliche Studie der durch die Reformation aufgeworfenen breiteren Fragen.
  • Watson,Philip S. Let God be God!: An Interpretation of the Theology of Martin Luther. London: Epworth Press, 1947.
    • Eine klassische Studie, die die theozentrische Natur von Luthers Denken betont.

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