Der griechischen Mythologie zufolge belästigte der Prophet Tiresias ein Paar sich paarender Schlangen, als Hera beschloss, ihn zur „Strafe“ in eine Frau zu verwandeln. Nachdem er sieben Jahre lang in dieser Form gelebt hatte, verwandelte sie ihn zurück. Als er später von Hera und Zeus gebeten wurde, einen Streit darüber zu schlichten, welches Geschlecht beim Geschlechtsverkehr die meiste Lust empfinde (Hera meinte, Männer; Zeus sagte, Frauen), antwortete Tiresias: Frauen. Eindeutig Frauen. Für diese Unverschämtheit schlug Hera ihn blind.
Tiresias mag sich nur über die allmächtigen Götter lustig gemacht haben. Oder er verstand das nervenreiche weibliche Lustzentrum besser als die meisten anderen: die Klitoris.
In der Geschichte der Sexualanatomie wurde die Klitoris lange Zeit abgetan, erniedrigt und missverstanden. (Spaßfakt: Als ein französischer Arzt dieses Organ 1545 zum ersten Mal sezierte, nannte er es membre honteux – „das schändliche Glied“ – und erklärte, sein einziger Zweck sei das Urinieren. Die früheren Ursprünge des Wortes sind unklar. Klitoris kommt aus dem Griechischen kleitoris, was sowohl mit „kleiner Hügel“ als auch mit „reiben“ übersetzt wurde, was auf ein altes Wortspiel hindeutet.)
Zunächst einmal handelt es sich nicht nur um einen erbsengroßen Knubbel. Etwa 90 Prozent des Volumens der Klitoris liegen unter der Oberfläche. Sie ist ein sich ausbreitendes unterirdisches Reich aus knisternden Nerven und blutpumpenden Gefäßen. Unterhalb des Kitzlers, der so genannten Glans clitoris, befindet sich ein praller, knochenförmiger Körper, der die Vagina umgibt und dessen Arme bis zu neun Zentimeter in das Becken ragen. Und alle Teile unter der Oberfläche bestehen aus Schwellkörpergewebe, was bedeutet, dass sie bei Erregung mit Blut anschwellen und noch größer werden.
Und diese Masse unter der Oberfläche ist voll von Verbindungen. Die Klitoris ist eng mit allen Beckenstrukturen um sie herum verflochten, einschließlich der Harnröhre, der Vagina und der Schamlippen.
Diese Anordnung hat Auswirkungen im Schlafzimmer, im Klassenzimmer und auf dem Operationstisch. Das Verständnis der vollständigen Form der Klitoris hilft uns, Anatomie-Lehrbücher zu verbessern und besser zu verstehen, wie der weibliche Orgasmus funktioniert. Es hilft Chirurgen auch, wichtige Nerven bei Beckenoperationen zu schonen, Verfahren zur Geschlechtsangleichung zu verbessern und die Klitoris von Frauen zu reparieren, die an ihren Genitalien verstümmelt wurden.
Verrückt ist, dass die Menschen, angefangen bei den alten Griechen, mehr als 2000 Jahre brauchten, um dieses Verständnis zu entwickeln – und das, obwohl etwa die Hälfte der Bevölkerung eine Klitoris hat. Die weibliche Anatomie hat sich zwar nicht sonderlich verändert, aber unser Verständnis von ihr schon. Im Laufe der Geschichte ist die Klitoris verloren gegangen, gefunden worden und wieder verloren gegangen, wobei sich männliche Anatomen darum stritten, wem der Ruhm für ihre „Entdeckung“ gebührt. Dennoch wird die Klitoris in den meisten Anatomielehrbüchern immer noch unzureichend dargestellt.
Glücklicherweise gibt es einige anatomische Pioniere, die daran arbeiten, dies zu ändern. Im Jahr 2005 rückte die australische Urologin Helen O’Connell die gesamte Anatomie der Klitoris ins Licht der Öffentlichkeit. Sie nutzte die Mikrodissektion von Leichen und die Magnetresonanztomographie lebender Frauen, um zu enthüllen, was nur wenige mutige Anatomen je zu zeigen gewagt hatten.
O’Connell verglich die Klitoris mit einem Eisberg: Unter der Oberfläche war sie zehnmal so groß, wie die meisten Menschen dachten, und verfügte über zwei- bis dreimal so viele Nervenenden wie der Penis. Und ihre Form – teils Pinguin, teils Insekt, teils Raumschiff – war ein Wunderwerk, das man nur in drei Dimensionen sehen konnte. „Es gibt nichts Vergleichbares zur Form einer Klitoris“, sagte O’Connell im Jahr 2006. Heute beginnen einige Anatomie-Lehrprogramme, dieses erweiterte Verständnis des Organs, das früher nur als „kleiner Hügel“ bekannt war, zu berücksichtigen.
Im Interesse von Frauen und Männern auf der ganzen Welt hoffen wir, dass diese Form nicht länger ignoriert wird.