Künstlerische Illustration, wie das Tully-Monster ausgesehen haben könnte. Image via PaleoEquii/Wikipedia, CC BY-SA/Phys.org.
Evolution kann manchmal sehr seltsam sein und Kreaturen hervorbringen, die so bizarr aussehen, dass man meinen könnte, sie müssten Außerirdische sein. So war es auch beim Tully-Monster, einem Meerestier, das irgendwie wie eine riesige Schnecke aussah und vor etwa 300 Millionen Jahren lebte. Jetzt zeigt eine neue Studie, dass diese uralte Kreatur möglicherweise noch mysteriöser ist als bisher angenommen.
Die neuen, von Experten begutachteten Ergebnisse wurden in der Oktoberausgabe 2019 der Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences veröffentlicht.
Das berühmte Tully-Monster-Fossil – offiziell als Tullimonstrum bekannt – wurde erstmals in den 1950er Jahren am Mazon Creek in Illinois entdeckt. Seit seinem Fund waren sich die Wissenschaftler nicht einig, ob Tully ein Wirbeltier (mit Rückgrat) oder ein Wirbelloses (ohne Rückgrat) war. In einem früheren Bericht aus dem Jahr 2016 wurde behauptet, dass Tully ein Wirbeltier sein muss.
Das einst lebende Wesen ist in der Tat eines der seltsamsten, die je entdeckt wurden, mit einem schneckenähnlichen Körper und einem langen, dünnen Fortsatz, der in einer klauenähnlichen Struktur mit zwei Reihen konischer Zähne endet. Die Augen befinden sich am Ende langer dünner Stiele oder starrer Stäbe, wie aus einem Science-Fiction-Film. Außerdem hatte es eine senkrechte Schwanzflosse und eine lange, schmale Rückenflosse. Das Tully-Monster war allerdings nicht allzu groß, es wurde nur bis zu 35 cm lang. Wie die Paläontologin Victoria McCoy von der Universität Leicester es ausdrückte:
Ich würde das Tully-Monster auf der Skala der Seltsamkeiten ganz oben ansiedeln.
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Eine weitere Rekonstruktion des Tully-Monsters. Image via Sean McMahon via EurekAlert/Scientific American.
Die neuen Erkenntnisse von Chris Rogers vom University College Cork stellen diesen Konsens in Frage.
Einer der Hauptbeweise, der dazu führte, dass Tully früher als Wirbeltier eingestuft wurde, war die Tatsache, dass seine Augen Pigmentkörnchen, so genannte Melanosomen, enthielten, die nach Form und Größe genauso angeordnet sind wie die in Wirbeltieraugen.
Die neuen Forschungsergebnisse stellen dies jedoch in Frage und weisen darauf hin, dass einige wirbellose Tiere – wie Kraken und Tintenfische – Melanosomen haben, die denen von Tully ähneln.
Wie haben Rogers und sein Team dies festgestellt?
Sie verwendeten eine Art Teilchenbeschleuniger, eine so genannte Synchrotronstrahlungsquelle, an der Stanford University in Kalifornien, mit der die chemische Zusammensetzung sowohl von Fossilien als auch von lebenden Tieren untersucht werden kann. Laut Rogers:
Dazu haben wir eine Art Teilchenbeschleuniger namens Stanford Synchrotron Radiation Lightsource (SSRL) an der Stanford University in Kalifornien verwendet. Damit konnten wir die chemische Zusammensetzung von Proben aus Fossilien und von heute lebenden Tieren untersuchen. Das Synchrotron beschießt die Proben mit intensiven Strahlungsstößen, um die Elemente in ihnen „anzuregen“. Bei der Anregung setzt jedes Element Röntgenstrahlung mit einer spezifischen Signatur frei. Durch den Nachweis der emittierten Röntgensignaturen können wir feststellen, welche Elemente angeregt wurden und woraus das Exemplar, das uns interessiert, letztendlich besteht.
Das Tully-Monster (Tullimonstrum) Fossil. Image via Ghedoghedo/Wikimedia, CC BY-SA/The Conversation.
Als sie Proben von modernen Wirbeltieren und wirbellosen Tieren untersuchten, fanden sie etwas Interessantes. Die Augen moderner Wirbeltiere weisen ein höheres Zink-Kupfer-Verhältnis auf als die moderner wirbelloser Tiere.
Das gleiche Muster von Zink und Kupfer wurde dann auch in Fossilien aus Mazon Creek gefunden, wo das Tully-Fossil entdeckt worden war. Daraufhin untersuchten die Forscher die Augen des Tully-Fossils selbst. Dabei stellte sich heraus, dass das Zink-Kupfer-Verhältnis eher dem von Wirbeltieren ähnelte, was die bisherige Schlussfolgerung, dass Tully ein Wirbeltier war, in Frage stellte.
Aber es gab noch eine weitere Wendung. Das Kupfer in Tullys Augen war eine andere Art von Kupfer als das, das normalerweise in den Augen von Wirbeltieren und Wirbellosen vorkommt, was die Sache noch verwirrender machte.
Chris Rogers, Postdoktorand in Paläobiologie am University College Cork. Image via The Conversation.
In Anbetracht dieser Erkenntnisse geht die Debatte über Tully weiter. Zwar deuten neue Beweise darauf hin, dass es sich um ein wirbelloses Tier handelte, aber es ist noch kein eindeutiger Fall. Nur weitere Tests und Analysen werden helfen, endgültig zu bestimmen, um welche Art es sich bei Tully wirklich handelt.
Unterm Strich: Das Tully-Monster – eines der bizarrsten Fossilien, die je gefunden wurden – ist laut einer neuen Studie immer noch ein Rätsel, ob es ein Wirbeltier oder ein Wirbelloses war.
Quelle: Synchrotron-Röntgenabsorptionsspektroskopie von Melanosomen in Wirbeltieren und Cephalopoden: Implikationen für die Verwandtschaft von Tullimonstrum
Via The Conversation
Paul Scott Anderson hat eine Leidenschaft für die Erforschung des Weltraums, die schon als Kind begann, als er Carl Sagans Cosmos sah. Während seiner Schulzeit war er für seine Leidenschaft für Weltraumforschung und Astronomie bekannt. Im Jahr 2005 startete er seinen Blog The Meridiani Journal, der über die Erforschung von Planeten berichtete. Im Jahr 2015 wurde der Blog in Planetaria umbenannt. Obwohl er sich für alle Aspekte der Weltraumforschung interessiert, gilt seine größte Leidenschaft der Planetenforschung. Seit 2011 schreibt er freiberuflich über den Weltraum und ist derzeit für AmericaSpace und Futurism (Teil von Vocal) tätig. Er hat auch für Universe Today und SpaceFlight Insider geschrieben, wurde in The Mars Quarterly veröffentlicht und hat ergänzende Texte für die bekannte iOS-App Exoplanet für iPhone und iPad verfasst.